Was der Brexit für Manager bedeutet

Die Wähler in England, Wales, Schottland und Nordirland haben entschieden: Das Vereinigte Königreich wird in Zukunft deutlich unabhängiger vom Rest Europas agieren. Politiker, Wissenschaftler und Unternehmen diskutierten in den vergangenen Monaten, was der Brexit, also der Austritt aus der EU, für die Wirtschaft und die Menschen in Großbritannien und Europa bedeuten würde. Wir erklären mögliche Folgen für Manager in Großbritannien und Deutschland.

Was der Brexit für Britische Manager bedeuten könnte

Jobs in London sind in Gefahr

Hochhäuser ragen in den Himmel und Paläste aus Glas stehen für die moderne Seite der englischen Hauptstadt: Das Viertel Canary Wharf, direkt an der Themse im Westen Londons gelegen, gilt als Finanzzentrum Großbritanniens und Europas. Bisher. Jetzt, nach dem britischen Votum für einen EU-Austritt, könnten viele Unternehmen, vor allem Banken, nachziehen und die Stadt verlassen. Bis zu 100.000 Arbeitsplätze allein in der Finanzbranche seien in London gefährdet, besagt eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC aus dem April dieses Jahres.

Der Finanzsektor ist für England besonders wichtig. 2,2 Millionen Menschen arbeiten in der Branche, die meisten davon in London. Für viele US-Banken ist London allein schon aus sprachlichen und kulturellen Gründen der Ort, der sich am besten als Europasitz des Unternehmens eignet. Durch den Brexit werden die derzeit in Großbritannien geltenden, sogenannten Passport-Regeln der EU, nun hinfällig. Sie besagen, dass eine Banklizenz in einem EU-Land ausreicht, um in allen weiteren Mitgliedsstaaten ohne weitere Prüfungen agieren zu können. Viele US-Unternehmen hatten diese Lizenz bislang in Großbritannien. Nach dem Brexit müssen sich die Banken neu aufstellen.

Die US-amerikanische Bank Citigroup hatte bereits vor dem Brexit angekündigt, dass sie sich im Fall eines Austritts aus der EU zumindest teilweise aus London und der nordirischen Hauptstadt Belfast zurückziehen werde. Auch Jamie Dimon, Chef der Bank JP Morgan, sieht bei seinem Unternehmen nun 1.000 bis 4.000 Jobs in London in Gefahr. Andere europäische Finanzplätze wie Frankfurt, Paris oder Dublin werben bereits um die Firmen, die London nach der Abstimmung nun den Rücken zukehren könnten. Allein in Frankfurt könnten bis zu 20.000 neue Jobs im Finanzsektor entstehen.

Die Situation für Expatriates ist ungewiss

Engländer, die Berliner Start-ups managen oder Deutsche, die bei einer englischen Bank arbeiten: Etwa 1,3 Millionen Briten leben und arbeiten im EU-Ausland und 2,1 Millionen Menschen aus anderen EU-Staaten verdienen ihr Geld in Großbritannien. Die gute Nachricht: Weder Engländer, die in Berlin oder Paris arbeiten, noch Deutsche, die in London leben, müssen nach dem Brexit über Nacht ihre Koffer packen. Das Wiener Übereinkommen aus dem Jahr 1969 legt fest, dass bestehende Rechte und Pflichten auch dann weiter bestehen, wenn ein Vertrag endet. Das gilt auch für das in der EU gültige Recht auf Freizügigkeit zwischen den Staaten.

Dennoch ist es immer wahrscheinlicher, dass der Austritt aus der EU negative Folgen für Expatriates haben wird – das hatte die britische Regierung bereits im Februar in einem Papier angedeutet. So könnten Berufsabschlüsse von Briten in der EU nicht mehr anerkannt sowie Pensionsansprüche und der Zugang zum Gesundheitssystem eingeschränkt werden.

Was sich in Zukunft tatsächlich für Briten in der EU und für EU-Bürger in Großbritannien ändern wird, lässt sich derzeit noch schwer abschätzen. Vieles hängt von den Verhandlungen zum EU-Austritt ab, die in den kommenden Monaten folgen. Ein mögliches Vorbild für Großbritannien könnte dann das Nicht-Eu-Mitglied Norwegen werden, das trotzdem zum europäischen Wirtschaftsraum gehört und auch bei der Freizügigkeit mitmacht. Die Kehrseite des Deals: Das kleine Land muss dafür Beiträge an die EU zahlen, ohne große Mitspracherechte zu genießen. Noch ist fraglich, ob ein solches Abkommen eine Option für die Briten wäre.

Was britische und deutsche Manager vom Brexit halten

Dass der Brexit nun tatsächlich ansteht, ist für viele Europäer ein Schock. Großbritannien ist das erste Land, dass freiwillig aus der EU austritt. Noch im Februar dieses Jahres sprachen sich einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung zufolge die Manager in Großbritannien und Deutschland branchenübergreifend gegen einen Brexit aus.

83 Prozent der deutschen und 76 Prozent der britischen Befragten hofften demnach, dass Großbritannien in der EU bleibt. 200 Spitzenmanager, darunter die Chefs von Vodafone, BP, Easyjet und Ryanair, unterschrieben vor einigen Monaten einen offenen Brief für den Verbleib und warnten im Fall eines Brexits vor Jobverlust, sinkenden Umsätzen und geringeren Investitionen.

Ob die Wünsche der Brexit-Befürworter nun in Erfüllung gehen, wird sich zeigen. Mehr als 300 britische Unternehmer, darunter ein früherer Sony-Manager und einer der Geschäftsführer von Goldman Sachs, hatten bereits Mitte Mai in einem Brief erklärt, die Brexit-Bewegung zu unterstützen. Sie hoffen jetzt darauf, dass ihnen ein Austritt dabei helfe, neue Märkte zu erschließen und dabei Arbeitsplätze zu schaffen. Die Bürokratie aus Brüssel hingegen schränke derzeit zu viele Unternehmen in ihrer Arbeit ein.

Wie geht es nun weiter? Fakt ist, dass Großbritannien nicht mehr in den EU-Haushalt einzahlen muss, sobald das Land ausgetreten ist. Gleichzeitig werden in Zukunft vor allem bei den Exporten höhere Kosten für britische Unternehmen anfallen, beispielsweise durch Vorschriften für die Kennzeichnung von Produkten oder Zölle. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler hatten bereits vor dem Brexit mit eher negative Folgen für die britische Wirtschaft argumentiert, die sich jedoch auf die ganze EU auswirken könnten.

Über die Autorin:

Felicitas Wilke klein Felicitas Wilke, Jahrgang 1990, hat BWL und Journalismus studiert und die Deutsche Journalistenschule besucht. Sie arbeitet als freie Journalistin in München. Beruflich begeistert sie sich für Themen rund um Wirtschaft, privat bereist sie gerne Skandinavien und hat ein Herz für schwarz-gelben Fußball aus dem Ruhrgebiet.



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