Deutschland hat sich in mehreren Umfragen als beliebtes Land für Expats herauskristallisiert. Diese Entwicklung lässt die europäische Wirtschaftsmacht in einem ganz neuen Licht erscheinen. Warum istDeutschland bei Expats so beliebt? Welche Qualitäten weist Deutschland als Nation für Einwanderer auf? Wie bewerten Expats die Arbeits- und Lebensbedingungen in Deutschland? Was sind die größten Herausforderungen, denen Expats sich im Hinblick auf die kulturellen Unterschiede stellen müssen? Heute wollen wir Ihnen hierzu einen Beitrag von Viara Richter, Gründerin und CEO von Culture-Alchemy.com, präsentieren.
Deutschland als beliebtes Land für Expats – Die Umfrageergebnisse
Zahlreiche Umfragen haben Gründe gesucht, warum es für Expats so attraktiv ist, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Gemäß der Expat Explorer Study von HSBC aus den Jahren 2013 and 2014 konnte Deutschland vor allem in der Kategorie Kindererziehung punkten (Rang # 3 von 34).
Hohe Werte konnten dabei bei der Qualität der Kinderbetreuung, der gesundheitlichen Versorgung der Kinder sowie bezüglich dem generellen Wohlbefinden der Kinder in Deutschland verzeichnet werden. Das deutsche Bildungssystem ist außerodentlich kosteneffizient wenn es um die schulische Ausbildung geht. Bedenkt man, dass die Studiengebühren inzwischen wieder abgeschafft wurden, dürfte diese Rechnung zukünftig noch positiver ausfallen.
Auch die komfortable wirtschaftliche Situation verhilft Deutschland dazu, laut HSBC als viertbeliebtestes Land für Expats zu gelten, gleich hinter der Schweiz, Singapur und China. Die Umfrage wurde nun schon zum siebten Mal in Folge durchgeführt und umfasst Antworten von über 7.000 Expats, die bis zu 34 verschiedene Länder in Kategorien wie Wirtschaft, Erfahrungen mit dem Land an sich und Kindererziehung bewerten.
Die Beliebtheit von Deutschland als Auswanderungsziel für Expats ist sicherlich auch den Senior Professionals und Expats mit Familien zu verdanken, die einen großen Wert auf eine gute Kindererziehung- und ausbildung legen. Im Durchschnitt sind die Arbeitskräfte, die sich für ein Leben in Deutschland entscheiden, 39.5 Jahre alt (laut der demographischen Daten des InterNations Survey Expat Insider).
Der InterNations Expat Survey ist die weltweit größte Umfrage und umfasst eine Stichprobe von 14.000 Teilnehmern in 160 Ländern, die wiederum 61 verschiedene Auswanderungsziele beurteilen. 48% dieser Teilnehmer sind verheiratet, 25% von ihnen haben Kinder. Auch in dieser Umfrage belegte Deutschland einen Spitzenplatz in den Kategorien Lebensqualität (Rang #5 von 61) und Familienleben (#5 von 34). Auch Sicherheit und Stabilität sind Faktoren, die Deutschland zu diesem positiven Ergebnis verhelfen. Das Bildungssystem, die Kinderbetreuung und das Gesundheitssystem machen Deutschland zu einem kinderfreundlichen Land mit einem hohen Lebensstandard.
Mercer, ein globales HR Consulting Unternehmen, unternimmt jährlich eine Umfrage (Mercer Quality of Life Survey), um 223 Städte auf Lebenshaltungskosten und Lebensqualität zu prüfen. Im Jahr 2014 erhielten europäische Städte großartige Bewertungen, allen voran Wien (Österreich, #1), gefolgt von Zürich (Schweiz, #2) und München (Deutschland, #4). Lediglich zwei nicht-europäische Städte befinden sich unter den Top 5: Auckland (Neuseeland, #3) und Vancouver (Kanada, #5). Gleich danach folgen zwei weitere deutsche Städte: Düsseldorf (#6) und Frankfurt am Main (#7).
Deutschland als beliebtes Land für Expats – kulturelle Erfahrungen
Deutschland bietet Expats einige Vorteile. Dennoch können die deutsche Sprache und die deutsche Kultur nachweislich viele Einwanderer vor ungeahnte Herausforderungen stellen. Die deutsche Regierung bietet Einwanderern finanzielle Unterstützung an, wenn sie einen Intergrationskurs absolvieren. Dies macht die deutsche Sprache sicherlich nicht einfacher aber ermutigt, sich damit auseinanderzusetzen und von den Vorteilen zu profitieren.
Um mit der deutschen Kultur zurechtzukommen, kann etwas Hilfe von einem Experten manchmal nicht schaden. Besonders Expats aus angelsächsischen Nationen haben anfangs Probleme, die Direktheit der Deutschen richtig zu werten und nicht fälschlicherweise als Unhöflichkeit zu interpretieren. Viele Deutsche sind in ihrer Kommunikation sehr direkt und kommen schnell zum Punkt, was sich nicht immer gut mit rücksichtsvollem Verhalten vereinbaren lässt.
Der Anthropologe und Ethnologe E.T. Hall führte in diesem Zusammenhang den Begriff der „low context culture“ ein. Damit ist gemeint, dass diese Art der Informationsgewinnung vorwiegend auf der Basis von direkter und wörtlicher Kommunikation aufbaut, frei nach dem Prinzip „What you hear is what you get“. Die deutsche Kultur ist zudem dafür bekannt, eher aufgabenorientiert anstatt personenorientiert zu sein (Hofstedes Dimension Individualismus vs Kollektivismus), was die Kommunikation zusätzlich zu einer Herausforderung macht. Jedoch können Expats diese Hürde nach einer absehbaren Zeit schnell überwinden.
Dabei kann auch interkulturelles Training helfen. Mit der Zeit werden Expats Situationen, die anfangs unangenehm waren, mit der nötigen Erfahrung meistern und als positiv erleben. Und irgendwann wird man die Vorteile dieser Unlockerheit erkennen: Aufrichtigkeit, Ernsthaftigkeit, Direktheit und Detailliebe. Das ist kein Scherz.
Die eben erwähnten kulturellen Aspekte zeigen, dass neben der Attraktivität Deutschlands als Auswanderungsziel auch einige Hindernisse zu überwinden sind. Dies spiegelt auch das vergleichsweise schlechte Ergebnis Deutschlands in der Kategorie „Erfahrung“ der Umfrage von HSBC wider. Freundschaften zu knüpfen und sich ein Sozialleben aufzubauen scheint hier eine Herausforderung zu sein. Lediglich 5% der Befragten bewerten es als „sehr einfach“, in Deutschland Freunde zu finden, während dies im globalen Vergleich woanders doppelt so häufig der Fall ist (12%, Expat Insider Survey InterNations).
Zudem werden Deutsche als nicht sehr freundlich gegenüber Ausländern empfunden, was sich in der eher schlechten Platzierung in der Kategorie „Leichtigkeit der Eingewöhnung“ niederschlägt (#50 von 61). 59% der Befragten bewerten das Erlernen der deutschen Sprache als schwierig, was im weltweiten Vergleich auffallend hoch ist (43%, Expat Insider Survey InterNations).
In den Augen vieler Einwanderer ist Deutschland immer noch eines der beliebtesten Länder und sehr attraktiv im Bezug auf eine Anstellung im Ausland. Länder wie die Vereinigten Staaten von Amerika, Hong Kong, Australien und Singapur stehen aufgrund der geringeren, sprachlichen Barriere immer noch hoch im Kurs. Aber vielleicht ist es langsam Zeit, das gute alte Europa in einem neuen Licht zu sehen, die sprachliche Herausforderung anzunehmen und die hohe Lebensqualität in Deutschland zu genießen.
Auch für die deutsche Bevölkerung sind diese Ergebnisse Grund zur Freude und ermöglichen es, Deutschland auf eine ganz neue Art und Weise zu betrachten. Jeder kann seinen Teil dazu beitragen, die Herausforderungen, denen Expats sich stellen müssen, abzumildern. Und es ist auch Zeit, diese positive Rückmeldung, die Deutschland in diesem Umfragen erhält, zu genießen. Einige haben bereits damit angefangen. Haben Sie diese monumentale Überschrift in der Zeitung Mirror (UK) am Tag, nachdem Deutschland das Finale der Fußballweltmeisterschaft gewonnen hat, gesehen?
“It´s cool to be German – and it´s OK to love them now”.
Über Viara Richter und Culture-Alchemy.com:
Viara Richter ist eine unabhängige Beraterin und interkulturelle Trainerin, die Unternehmen dabei hilft, mit kulturellen Unterschieden besser umzugehen. Frau Richter ist sowohl in Bulgarien als auch in Deutschland aufgewachsen und hat daher bereits in jungen Jahren verstanden, worin die Schwierigkeiten bei kulturellen Unterschieden liegen. Sie hat Ihren Universitätsabschluss in Business Administration mit Schwerpunkt in interkultureller Kommunikation an der Ludwig-Maximilians-Universität München absolviert. Frau Richter hat für 7 Jahren als CRM Trainer & Consultant bei Accenture, einem globalen IT-Beratungsunternehmen, gearbeitet und dort zahlreiche interkulturelle Trainings abgehalten. Dort hat sie zudem für das Cultural Diversity Office von Accenture gearbeitet. Erst kürzlich ist Frau Richter aus Sydney, Australien, zurückgekehrt, wo sie 2 Jahre lang zusammen mit ihrer Familie das Leben als Expat genossen hat. Sie beschreibt sich selbst als ‚Cultural Alchemist‘. Die Idee dahinter ist, kulturelle Unterschiede in geteilte Gemeinsamkeiten zu verwandeln. Sie lädt Menschen aus verschiedenen Kulturen dazu ein, Konakte zu knüpfen und kulturelle Vielfalt als Stärke zu betrachten.