Anstellung im Ausland: Einsichten aus dem Senior Management

Es ist immer sehr interessant mit Leuten aus dem Bereich des Senior Managements zu sprechen, die bereit sind, über ihre persönlichen und beruflichen Erfahrungen zu sprechen, da diese sonst ungern thematisiert werden. Deshalb habe ich mich mit Dr. Thomas Vetter in Kontakt gesetzt, der derzeit Senior Vice President bei SAP in Deutschland ist. Dr. Vetter ist bereits seit fast 20 Jahren bei SAP und leitet dort derzeit die Abteilung für das Produkmanagement und die Produktentwicklung im Bereich der globalen Konsumgüterindustrie.

Bollywood: Anstellung im Ausland

Anstellung im Ausland

Seine Tätigkeit umfasst Lösungen für Firmen im Konsumgüterbereich, darunter Unternehmer im Groß- und Einzelhandel die sowohl im Modesektor (Burberry, UK) als auch im Nahrungsmittelsektor (Lidl, Deutschland) angesiedelt sind. Seine Kunden sind auf der ganzen Welt verteilt: von den Vereinigten Staaten von Amerika, Australien, Kanada und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (UK) bis nach China.

Die Entwicklung der SAP-Software ist zudem über fast sieben verschiedene Orte auf unterschiedlichen Kontinenten verteilt. Aufgrund dieser beeindruckenden und „globalen“ Karriere stellte Dr. Vetter für mich den perfekten Kandidaten dar um etwas mehr darüber zu erfahren wie es ist, eine Anstellung im Ausland innezuhaben und welche internationalen Erfahrungen man dabei macht.

Wann haben Sie zum ersten Mal im Ausland berufliche Erfahrungen sammeln können?

Dr. Vetter: Nachdem ich meinen Doktortitel in den Vereinigten Staaten beendet hatte, verbrachte ich ein halbes Jahr in Japan sowie einige Zeit in Kuala Lumpur und anderen, ähnlichen Orten. Ich lebte für fast fünf Jahre in Indien (Anmerkung der Redaktion: Dr. Vetter arbeitete ursprünglich als Country Development Manager in Bangaluru, Indien für den Zeitraum von 2 Jahren zwischen 1996 und 1997.

Später war er erneut von 2009 bis 2011 in Indien als Vice President in der Entwicklung bei ByD). In globalen Unternehmen heutzutage ist es zwingend notwendig einen internationalen Zugang zu unterschiedlichen Kulturen, vor allem in Senior-Positionen, zu haben. Viele Menschen können Englisch sprechen aber du wirst erst dann wirklich in der Lage sein, dich eloquent auf Englisch ausdrücken zu können, wenn du dazu gezwungen wirst, dich mit Muttersprachlern in deren Heimatland zu unterhalten.

Wenn die Kunden und Entwickler über den ganzen Globus verstreut sind, ist es essenziell nicht nur deren Sprache zu beherrschen sondern auch zu wissen, wie man vor dem unterschiedlichen kulturellen Hintergrund mit der Sozialkompetenz (zu Englisch: soft skills) der Menschen umgeht und herausfindet, was die Menschen beeinflusst. Du wirst dabei viele Fehler machen aber währenddessen auch unheimlich viel in diesem Bereich lernen.

Wenn Sie die wichtigsten Aspekte, die Sie während Ihrer Anstellung im Ausland gelernt haben, nennen müssten, welche wären das?

Dr. Vetter: Man muss akzeptieren, dass vieles anders ist als in seiner Heimat und man muss offen dafür sein zu lernen und sich anzupassen… In Indien habe ich sogar gelernt, wie man Cricket spielt. Ich habe es dort zusammen mit Einheimischen gespielt und bin zu offiziellen Spielen gegangen. Das hat mir sehr dabei geholfen die Menschen auf einer persönlichen und kulturellen Ebene zu verstehen. Du musst neuen Erfahrungen unbedingt offen entgegentreten.

Was war die größte Herausforderung für Sie während Ihrer Anstellung im Ausland? Haben Sie eine Anekdote zu diesem Thema?

Dr. Vetter: Da fallen mir so einige Anekdoten ein. Als ich in Indien war habe ich einmal einem Mitarbeiter eine E-Mail geschrieben um ihn zu fragen, ob er eine Sache für mich erledigen könnte. Seine Antwort war wie folgt in ernster Militärmanier: „Yes Sir, Ihr Wunsch sei mir Befehl“ (im Original: „yes sir, I will do as you command“). Daraufhin hat er alles andere bei Seite gelegt, auch das, was womöglich dringender war. So etwas würdest du in Deutschland nie erwarten.

In Deutschland reagieren die Leute auf derartige Anfragen ausgeglichener und priorisieren ihre Aufgaben. In Deutschland ist es auch sehr unüblich bei Bewerbungsgesprächen Fragen zu stellen, die zu persönlich sind. Wir würden Leute nie nach Details fragen, wie beispielsweise wie viele Geschwister sie haben oder ob ihre Schwester verheiratet ist.

Als ich in Indien einmal eine Bewerberin einstellen wollte, hab ich am Ende mit ihrem Vater gesprochen um ihm zu erklären, dass es sich bei der Stelle um eine gute Position handelt. Diese Kandidatin ist nun bereits seit 15 Jahren bei uns. Ein andermal haben die Eltern eine junge Frau daran gehindert, zur Arbeit zu kommen. Sie hatte sich in einen Kollegen verliebt, ihre Eltern wollten jedoch, dass sie jemand anderen heiratet.

Hier bin ich auch eingeschritten und habe die problematische Situation auflösen können, indem ich mit den Eltern gesprochen habe. Derartige Erfahrungen macht man in Deutschland nicht so einfach. Daher ist es wichtig zu versuchen, die Kultur und die unterschiedliche Art und Weise, wie Menschen sich ausdrücken, zu verstehen.

Welche Hinweise haben Sie für Fach- und Führungskräfte, die im Ausland arbeiten möchten?

Dr. Vetter: Ich denke mein Rat umfasst zwei unterschiedliche Aspekte: Einer davon ist, sich ein Netzwerk zu suchen. In größeren Städten gibt es meistens Netzwerke von im Ausland Lebender (zu Englisch: expat) und es ist sehr hilfreich über Themen wie Einwanderung, Visa und Erfahrungen Anderer informiert zu werden. Es ist jedoch auch sehr wichtig, sich ein lokales Netzwerk aufzubauen, beispielsweise anhand von einer Sportart, die du gerne betreibst. Ich bin dem Golf Club beigetreten und habe dadurch andere Leute kennengelernt, die in derselben Position sind. Dadurch kam ich auch viel mehr in Kontakt mit den Einheimischen.

Thomas Vetter Anstellung im Ausland

Ein weiterer Hinweis von professioneller Seite ist zu wissen, wie es weiter geht sobald die Anstellung im Ausland beendet ist. Statistisch gesehen verlässt ein nicht unerheblicher Anteil von Menschen, die von einer Anstellung im Ausland zurückkehren, ihr bisheriges Unternehmen innerhalb eines Jahres nach ihrer Rückkehr. Dafür gibt es die unterschiedlichsten Gründe.

Einer davon ist sicherlich das Ausmaß an neuen Eindrücken und Erfahrungen, die man während der Zeit im Ausland sammelt. Man befindet sich in einer neuen Region, fühlt sich in einer starken Entscheidungsposition und ist in der Lage einen Einfluss auf grundlegende Prozesse auszuüben, selbst wenn man sich nicht in der Zentrale befindet. Und in Unternehmen, die sich schnell weiterentwickelnd, kann dir keiner versichern eine ähnlich gute Position zu erhalten, wenn man zurückkehrt. Einige Firmen haben einen strukturellen Prozess um diesen Schwund entgegenzuwirken. Dabei handelt es sich jedoch nur um circa 10%.

Die meisten Unternehmen haben hier nicht wirklich eine richtige Lösung parat. Deshalb rate ich stark dazu, das eigene „Heim-Netzwerk“ aufrechtzuerhalten. Wenn du dich einmal nicht mehr in der Zentrale befindest, wirst du schnell feststellen, dass sich die Personen, die sich in Sichtweite befinden, mehr entwickeln und die Karriereleiter nach oben steigen während du in völlige Vergessenheit gerätst. Daher ist es unabdingbar, einen Mentor und Unterstützer in der Heimat zu haben.

Ich hatte sehr viel Glück, da ich die Möglichkeit hatte, mit dem Chief Executive Officer (CEO) des Unternehmens zu sprechen bevor ich ins Ausland gegangen bin. Es gibt natürlich keine Garantie dafür, dass dadurch nach meiner Rückkehr auch die Stelle sicher ist, die ich möchte, da sich der Markt und die Struktur des Unternehmens ständig verändern können. Auch dein CEO kann sich verändern! Um im Gespräch zu bleiben ist es jedoch enorm hilfreich, sich zu vernetzen, genau zu wissen, wie die weitere Planung aussieht und ständig in Kontakt mit Leuten zu bleiben, wenn auch nur im Abstand von 6 Monaten. Dies gibt dir auch die Möglichkeit auf dem Laufenden darüber zu bleiben, was in deinem Unternehmen zuhause wirklich passiert. Was zudem wichtig ist zu wissen ist, dass jeder Ort seine Vor- und Nachteile mit sich bringt.

In Indien ist es sehr üblich, eine Putzfrau oder einen privaten Chauffeur zu haben. In Deutschland würde man das nicht erwarten. Dafür kann es durchaus kostspielig sein in Deutschland einen Elektriker zu bestellen – jedoch kann man sich dann auch darauf verlassen, dass das Problem kompetent gelöst wird. In Indien kann es durchaus passieren, dass der Elektriker siebenmal mit dem falschen Werkzeug bei dir vorbeikommt und dir das nächste Mal sehr ausschweifend erzählt, warum das beim ersten Mal nicht geklappt hat!

Es ist also sehr wichtig mit einer gewissen Offenheit an diese Dinge heranzutreten und zu akzeptieren, dass sich vieles von dem unterscheidet, was man bisher kennt.

Welch interessante Einblicke. Vielen herzlichen Dank, Herr Dr. Vetter, dass Sie sich zu diesem Gespräch bereit erklärt haben. Jetzt bin ich auf jeden Fall darauf vorbereitet, falls eine Liebeskriese in Bollywood-Manier zu Verzögerungen meines nächsten Projekts führt – oder auch nicht!



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