Die Digitalisierung hat Auswirkungen auf die verschiedensten Zweige der Arbeitswelt. So auch der HR-Bereich, der mitten im digitalen Wandel steckt. Routineaufgaben wie Personaleinsatzplanung, Controlling oder Weiterbildungsmaßnahmen werden an intelligente Systeme ausgelagert. Selbst das Recruiting, also die Suche nach talentierten und qualifizierten Arbeitskräften, wird – zumindest unterstützend – von HR-Software oder Onlinesystemen übernommen. Die Vorteile dieser Tools liegen eindeutig in einer Beschleunigung der Abläufe und Optimierung der Ressourcen.
Doch den Trend, vermehrt auf Online-Bewerbungen, Karriereportale und automatisierte Kandidatenauswahl zu setzen, birgt nicht nur Vorteile. Denn digitale Verfahren ermöglichen eine Aufwertung des eigenen Lebenslaufs durch beschönigende Korrekturen bis hin zur dreisten Täuschung.
Wolfram Tröger, Geschäftsführer bei Tröger & Cie sowie Vorstandsmitglied des Fachverbandes Personalberatung im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU), vermutet, dass rund zehn Prozent aller Lebensläufe Lügen enthalten, die bei den meisten Bewerbern nie auffliegen.
Von Hinz bis Trump – Folgen falscher Lebensläufe
Wenn die Schummeleien im Lebenslauf doch auffallen, kann dies prekäre Folgen haben. Für den Arbeitnehmer ist es durchaus riskant, wenn der Arbeitgeber nachträglich massive Fehlinformationen aufdeckt, da dies unter den Tatbestand der arglistigen Täuschung fallen kann. In diesem Fall kann der Angestellte fristlos gekündigt werden, auch wenn er nicht mehr in der Probezeit ist. Prominente Beispiele dafür, dass das Aufwerten der Vita kein Kavaliersdelikt ist, gibt es zuhauf: Da erfinden Bundestagsabgeordnete ihr Abitur und einen Universitätsabschluss obendrauf, beteuern gar öffentlich, wie anstrengend das Pendeln von Essen an die Bonner Universität war und die Verbindung des Jurastudiums mit dem ehrenamtlichen Engagement.
Petra Hinz ist da kein Einzelfall. Selbst bei Wirtschaftsgrößen wie Yahoo kann ein Scott Thompson Chef werden, dank seines Bachelor-Abschlusses in Computerwissenschaften. Dass er diesen gar nicht gemacht hat, kostet auch ihn seinen Posten und vermutlich jeglichen weiteren Job in der Branche. Negativschlagzeilen produziert auch Donald Trumps Ehefrau Melania, die in ihrem CV angab, ein Studium in Design und Architektur abgeschlossen zu haben. Nach Medienrecherchen soll das nicht der Fall sein. Es dürfte für das Wahlkampfteam ihres Mannes schwierig werden, das ehemalige Model nicht nur als sein Anhängsel zu präsentieren, wenn diese ganze Lebensabschnitte erfindet.
Korrektur der Vita – leicht wie nie
Dass diese Lebenslauf-Lügen auch bei Normalsterblichen mittlerweile Usus sind, belegt eine Umfrage unter Personalmanagern. Die Studie, die für die Personalberatung Robert Half durchgeführt wurde, liefert Hinweise, dass in automatischen Bewerbungsverfahren frühere Posten überhöht und Qualifikationen hinzugedichtet werden, um alle Anforderungen zu erfüllen und damit die erste Hürde im Bewerbungsprozess zu nehmen.
So ging aus der Studie hervor, dass viele Recruiter die Erfahrungen der Kandidaten mit Misstrauen betrachte. 39 Prozent der befragten Personalverantwortlichen aus Deutschland gehen davon aus, das Bewerber übertreiben, was ihre Managementfähigkeiten und ihre Verantwortung im früheren Unternehmen angeht. Auch bei ihren Sprach- und Softwarekenntnissen scheinen es viele Bewerber nicht allzu genau zu nehmen. Für Wolfram Tröger sind diese Zahlen nicht verwunderlich:
„Digitalisierte Auswahlverfahren arbeiten mit Begriffen, die im Anforderungsprofil der Position bedeutend sind. Somit lassen sie unvollständige oder unkorrekte Angaben wesentlich einfacher zu als ein persönliches Gespräch. Insofern vermuten wir eine unmittelbare Korrelation zu den scheinbar steigenden Fälschungen.“ Laut Tröger wurden Bewerbungen auch vor 20 Jahren falsche Angaben oder gefälschte Zeugnisse beigefügt, das wirkliche Fälschen sei aber ungleich aufwendiger gewesen. Hinzukommt, dass die Grauzone heute deutlich größer geworden sei.
Auswahlverfahren müssen überdacht werden
Für Tröger kann ein digitaler Prozess daher nur eine Teilkomponente im Vorauswahlverfahren sein, die zusätzlich manuell vor- und nachbereitet werden muss. Dennoch sieht auch das Vorstandsmitglied des BDU die Vorteile, die die digitalen Verfahren insbesondere bei großen Konzernen beliebt machen: „Die Beschleunigung des Auswahlverfahrens durch eine Selektion nach klaren Muss-Kriterien führt zu einer Optimierung der Abläufe. Aufseiten der Entscheider ist das zugleich ressourcenschonend, da diese sich nur mit den passenden Kandidaten befassen müssen.“ Allerdings sollten die Probleme der computerbasierten Auswahl dabei nicht unberücksichtigt bleiben.
So gibt Wolfram Tröger zu bedenken, dass das System nicht den Gesamteindruck eines Kandidaten erfassen und dessen Chancen und Potenzial bewerten kann. Um die Person als Menschen kennenzulernen, zu prüfen, ob sie wirklich zur Firmenphilosophie passt und seine Qualifikationen auf Plausibilität wie auch Qualität zu validieren, eignet sich ein persönliches Gespräch noch immer am besten.