Karrieretrends 2016: Zwischen Beruf und Selbstverwirklichung

Geld oder berufliche Anerkennung? Sinnhaftigkeit oder Chefsessel? Die Werte von Arbeitnehmern haben sich in den letzten Jahren drastisch gewandelt. Wie sehen sie aus, die Karriereideale der Zukunft? Auf welche Entwicklungen müssen sich Unternehmen einstellen und: Wie können Manager ihren Führungsstil an die Bedürfnisse der „neuen Generation“ von Arbeitnehmern anpassen? Wir haben mit jemandem gesprochen, der es wissen muss: Dr. Bernd Slaghuis ist Karriereexperte und unterstützt Menschen dabei, die sich beruflich neu orientieren. Seine Studie über die Karrieretrends 2016 förderte Erstaunliches zutage – wir haben mit ihm über die Karrierewünsche zwischen Beruf und Selbstverwirklichung gesprochen.

Karrieretrends 2016: Zwischen Beruf und Selbstverwirklichung

Herr Slaghuis, Ihre Karrierestudie ergab, dass die meisten Deutschen mit ihrer beruflichen Weiterentwicklung zufrieden sind. Trotzdem denkt jeder Dritte über einen Wechsel nach. Woran liegt das?

Ja, ein Ergebnis, das mich auch überrascht hat. Aus meiner Sicht kommen hier zwei Entwicklungen zusammen: zum einen die momentan gute Situation auf dem Arbeitsmarkt, zum anderen die immer stärker abnehmende Identifikation mit dem eigenen Arbeitgeber. Das zeigen ja auch andere Studien auf. Besonders hoch ist laut Studie der Wechselwille in der Altersgruppe der 30-39-Jährigen.

Sie wittern bei einem Wechsel noch mehr Chancen als Risiken. Viele sagen sich: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ Diese hohe Wechselmotivation hängt eng mit dem wichtigsten Karriereziel der Deutschen zusammen: Dem Willen, Neues zu lernen. Sie sind wissenshungrig, möchten sich fachlich weiterentwickeln und damit bis ins Alter fit für den Arbeitsmarkt bleiben.

Die Unzufriedenheit ist vor allem bei den 40-49-Jährigen hoch. Was raten Sie Arbeitnehmern, die sich in einer beruflichen Krise befinden?

Auch im Beruf durchleben viele Angestellte eine Form von Midlife-Crisis und dies ist das typische Alter. Sie haben viele Jahre Berufserfahrung gesammelt und fragen sich mit Ende 40, was noch kommen wird. Gleichzeitig stellen sie fest, dass das, was sie momentan tun, vielleicht gar nicht mehr dem entspricht, wofür sie sich heute begeistern.

Hinzu kommt, dass viele Arbeitnehmer glauben, mit über 50 zu alt für einen Stellenwechsel zu sein. Getrieben von einer Art Torschlusspanik sind viele Berufstätige in diesem Alter auf der Suche nach neuer Orientierung. Die Frage, die sie sich stellen: Was ist in den nächsten 10 bis 15 Jahren das Richtige für mich? Oft geht es darum, sich wieder besser mit dem Beruf zu identifizieren. Die Frage nach dem übergeordneten Sinn ist in dieser Karrierephase vorherrschend.

Mein Tipp: Aktualisieren Sie Ihre Werte und Ziele im Beruf – und im Leben. Machen Sie sich bewusst, was Ihnen heute und in den nächsten Jahren wirklich wichtig ist und was Sie gerne noch erreichen möchten. Werte könnten etwa Herausforderung, Sinn, Sicherheit oder Anerkennung sein.

Wichtig: Füllen Sie diese Begriffe mit Ihrem Leben. Was bedeuten etwa Herausforderung oder Erfolg im Beruf konkret für Sie? Ein weiterer wichtiger Punkt gerade für Berufserfahrene: Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel! Machen Sie sich bewusst, was Sie schon alles erreicht haben und welche Erfahrungen Sie bereits gesammelt haben. Denn genau damit setzen Sie sich im Bewerbungsprozess gegen junge Bewerber durch.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Motivatoren für einen Karrierewechsel? Geld, Weiterentwicklung, Work-Life Balance?

Es klingt banal, aber die meisten Klienten, die zu mir ins Karriere-Coaching kommen, sehnen sich wieder nach mehr Freude bei der Arbeit. Mehr Gerechtigkeit, Kollegialität, Herausforderung und Anerkennung sind die wichtigsten Motivatoren und auf der anderen Seite auch die größten Auslöser für Job-Frust. Daher ist es vielen Angestellten und Führungskräften wichtig, in einem Umfeld zu arbeiten, das ihnen Freiräume im Denken und Handeln gewährt und wo sie als Menschen wertgeschätzt werden.

Das Geld ist zweitrangig, dies zeigen auch die Ergebnisse meiner Studie. Work-Life-Balance wurde vor Jahren als Modewort geprägt, als dem Feierabend dank mobiler Kommunikationstechniken das Aus drohte. Heute geht es Angestellten vielmehr um selbstbestimmtes Arbeiten.

Den meisten Berufstätigen ist bewusst, dass der Job nur ein Teilbereich ihres Lebens ist. Die meisten von ihnen haben verstanden, dass es nicht das Ziel ist, Beruf und Privatleben mühsam in Balance zu bringen. Stattdessen geht es um eine sinnvolle Integration und Verzahnung, passend zur jeweils aktuellen persönlichen Lebensphase.

Einfluss, Status und Wettbewerb standen früher als Synonyme für eine erstrebenswerte Karriere. Heute sind das Dinge wie Anerkennung und Selbstverwirklichung. Was hat sich verändert?

Ja, das stimmt. Die Devisen höher, schneller, weiter wurden abgelöst von dem Wunsch nach Selbstverwirklichung und Anerkennung. Das Streben nach Macht und Einfluss spielt vor allem für junge Berufstätige heute kaum eine Rolle mehr. Ein Drittel der Studien-Teilnehmer würde sogar gerne im Beruf kürzer treten und damit auch auf einen Teil ihres Einkommens verzichten. Viele Arbeitnehmer sind heute auf der Suche nach einem tieferen Sinn im Beruf – aber auch im Leben.

Karriere entwickelt sich weg vom „wir“, hin zum „ich“. Gleichzeitig ist der materielle Erfolg in den letzten Jahren immer stärker von einem immateriellen Anspruch an uns selbst verdrängt worden. Anerkennung in Form von schnellem Applaus von außen und die eigene Selbstverwirklichung sind für die nachrückenden Generationen wertvoller als das prall gefüllte Bankkonto.

Sicherlich gibt es Branchen und Positionen, die auch heute noch stark über monetäre Anreize gesteuert werden, wie etwa der Vertrieb und weite Teile der Finanzdienstleistungen, doch auch hier prognostiziere ich, dass spätestens in 10 bis15 Jahren neue Strategien erforderlich sind, um qualifizierte Mitarbeiter zu motivieren und an das Unternehmen zu binden.

Die Sinnsuche spielt auch im Beruf eine immer größere Rolle. Was erwarten Arbeitnehmer heutzutage von einer Stelle? Was müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern bieten, um sie langfristig an sich zu binden?

Bei dem Wort „Sinn“ im beruflichen Kontext denken viele zunächst an soziale Berufe, in denen Menschen anderen Menschen helfen. Wenn ich mit Klienten darüber spreche, was Sinn im Beruf für sie bedeutet, sind die Antworten meist andere. Viele sagen: „Ich empfinde Sinn, wenn ich mich mit dem Arbeitgeber oder seinen Produkten identifizieren kann und die Produkte auch selbst kaufen würde.“ Oder: „Ein Beruf ist sinnvoll, wenn ich damit in irgendeiner Form für die Gesellschaft einen Nutzen stifte.“

Arbeitnehmer möchten heutzutage verstehen, warum sie eine Aufgabe erledigen. Für Führungskräfte bedeutet dies, nicht nur Arbeitsanweisungen auf dem Tisch des Mitarbeiters abzuladen, sondern auch zu erklären, warum es für den Chef, das Unternehmen oder die Kunden wichtig ist, dass diese Aufgabe erledigt oder eine Lösung für ein bestimmtes Problem gefunden wird.

Mitarbeiter bleiben bei einem Unternehmen, wenn ihre persönlichen Werte und Ziele im Beruf erfüllt werden. Kennt die Führungskraft die individuellen Werte jedes einzelnen Mitarbeiters, kann er sie entsprechend führen.

In Ihrer Studie beschreiben Sie verschiedene Phasen, die ein Arbeitnehmer in seiner Karriere durchläuft. Wie verändern sich die Bedürfnisse der Arbeitnehmer in diesen Stadien und wie können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter durch diese Phasen begleiten?

Nach dem Studium oder einer Ausbildung geht es vielen Berufsanfängern zunächst darum, den richtigen Einstieg zu finden. Die Lernkurve ist steil, sie sammeln viele Erfahrungen und merken, dass sie mit guten Leistungen schnell die nächsten Schritte auf der Karriereleiter erklimmen können. Geld verdienen und Karriere machen ist ihnen wichtig – anders als früher, soll Karriere heutzutage jedoch mit Unabhängigkeit und Flexibilität einhergehen.

Meine Studie zeigt: Sicherheit im Beruf ist jungen Menschen unter 30 Jahren sehr wichtig. Ein Ergebnis, das mich überrascht hat, weil es nicht zu dem passte, was wir sonst über die sogenannte Generation Y erfahren. Doch ist diese Generation in einer von einer starken Dynamik geprägten Zeit aufgewachsen. Im Beruf wünscht sie sich daher Halt und Orientierung, ohne sich dabei eingeengt zu fühlen.

Das Spannungsfeld aus Orientierung und Flexibilität müssen Arbeitgeber und Führungskräfte insbesondere bei jungen Menschen heute und in Zukunft stärker berücksichtigen.

Nach einigen Jahren im Beruf geht es um andere Fragen: Führung, ja oder nein? Oder doch die Expertenlaufbahn? Der Wechsel in eine andere Branche? Oder noch einmal etwas ganz Neues? Für einige Angestellte entwickelt sich auch der Wunsch, im Beruf gezielt kürzer zu treten. Diese sogenannten Downshifter kommen zu mir, um hierfür eine geeignete Strategie zu entwickeln.

Denn zumindest in Deutschland wird ihnen noch häufig der Stempel des Versagers aufgedrückt und der bewusste Rückschritt, etwa die Aufgabe einer Führungsposition, ist gerade in einer Bewerbungssituation gegenüber einem potenziellen neuen Arbeitgeber schwer zu vermitteln. Ein Drittel der Teilnehmer meiner Studie gaben an, sie würden gerne ihre Arbeitszeit reduzieren, 21 Prozent bis zu 8 Stunden pro Woche. Gleichzeitig sagten 14 Prozent, sie würden gerne mehr arbeiten. Je nach Karriere- und Lebens-Phase sollte es die Möglichkeit geben, flexibel die Arbeitszeiten anzupassen.

Mitarbeiter selbst sollten sich regelmäßig mit der Frage auseinandersetzen, ob die Position, die Aufgaben und das Umfeld noch zu dem passen, was in ihrer aktuellen Karriere-Phase für sie wichtig ist. Für Arbeitgeber geht es um die Schaffung flexibler Personalentwicklungsmodelle. Homeoffice-Regelungen, Teilzeitmodelle oder Jobsharing sind erste Ansätze. Wichtiger ist aus meiner Sicht jedoch das Verständnis, dass Karriere heute nicht mehr ausschließlich eine Kletterpartie auf der Karriereleiter darstellt, sondern sich mit verschiedenen Lebensphasen in unterschiedliche, wenngleich nicht weniger sinnvolle Richtungen, entwickeln kann.

Die Medien sprechen von einer immer stärkeren Individualisierung der Gesellschaft. Inwiefern lässt sich dieses Konzept auf die Arbeitswelt übertragen? Wie wirkt sich die Entwicklung auf den Führungsstil von Managern aus?

Die Individualisierung der Gesellschaft hat etwas mit dem zu tun, was ich zuvor mit dem Karriere-Trend vom „wir“ zum „ich“ beschrieben habe. Führung nach dem Gießkannenprinzip funktioniert nicht mehr. Führung ist aus meiner Erfahrung auch nicht eine Frage von antrainierten Methoden. Vielmehr entscheidet die Grundhaltung der Führungskraft über die Wirksamkeit der Führung.

Viele Führungskräfte verabschieden sich momentan vom autoritären Führungsstil und schwenken auf eine Art „Kuschelkurs“ um. Mitarbeiter brauchen von Führungskräften jedoch klare Aussagen und konsequentes Verhalten. Neulich habe ich in meinem Karriere-Blog behauptet „Wer führen will, muss Menschen lieben“. Führung ist das Management von Beziehungen. Jede Führungskraft sollte ihren eigenen Weg zu einer wirksamen und gesunden Grundhaltung finden, die sowohl zur eigenen Persönlichkeit, aber auch zum Umfeld, den Mitarbeitern im Unternehmen und dessen Kultur passt.

Wie verläuft die Karriereentwicklung bei Frauen im Vergleich zu Männern? Welche unterschiedlichen Bedürfnisse haben Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen? Welchen Herausforderungen stehen besonders Frauen im Beruf heutzutage gegenüber?

Frauen reflektieren ihre berufliche Entwicklung stärker und sind offener für Neues – dies ist zumindest meine Erklärung, warum mehr Frauen zu mir ins Coaching kommen, um sich beruflich neu zu orientieren. Männer halten lieber durch und laufen – manchmal auch zu konsequent – ihren Karrierezielen hinterher.

Der Blick in die geschlechterspezifischen Daten der Studie liefert ein überraschendes Bild: Dahinter kommen immer noch alte Rollenbilder zum Vorschein. Frauen sehen sich im Vergleich zu den männlichen Teilnehmern eher als sicherheitsorientierte Karriere-Typen und finden sich in der Rolle als Dienstleister wieder, während Männer sich häufiger als Frauen als Unternehmer, Wettstreiter und Kreativer verstehen.

Auch wenn mit regulatorischen Maßnahmen wie der Frauenquote in den Arbeitsmarkt eingegriffen wird, gilt doch in vielen Unternehmen im Top-Management leider weiterhin das Motto „Kein Zutritt“ für Frauen. Man(n) bleibt gerne unter sich. Dabei belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien, dass eine große Vielfalt auf Teams eine positive Wirkung hat.

Ich erlebe in der Karriereberatung viele Frauen und vor allem weibliche Führungskräfte, die der Meinung sind, sie müssen sich an die Männerwelt anpassen, um mithalten zu können. Sie binden sich Krawatten um, kleiden sich in dunkle Hosenanzüge und versuchen, männliche Verhaltensmuster zu anzunehmen. Ich bin der Meinung, dass Verbiegen keine gute Lösung ist. Stattdessen sollten weibliche Führungskräfte gezielt nach einem Umfeld suchen, das ihre Talente, ihre Persönlichkeiten und Kompetenzen wertschätzt.

Zuletzt noch Ihre Einschätzung: Wie sehen die Karrieretrends der Zukunft aus? Worauf müssen sich Arbeitnehmer wie auch Unternehmen einstellen?

Die Arbeitswelt befindet sich seit Jahren in einem weitreichenden Transformationsprozess. Unter dem Begriff Arbeiten 4.0 werden im Rahmen der Initiative Industrie 4.0 neue Formen der Zusammenarbeit und Unternehmensführung in Politik und Wirtschaft diskutiert und in der Unternehmenspraxis bereits erprobt. Die fortschreitende Digitalisierung ist einer der Haupttreiber für Veränderungen.

Die Aufgabe wird weiterhin darin bestehen, eigenverantwortlicher und „gesünder“ mit den neuen Technologien umzugehen. „Ich bin dann mal offline!“ – Eine Aussage, die ich immer häufiger höre und mit der die Auszeitnehmer von ihrem Umfeld Applaus ernten. Vielleicht stellt dies besonders für Führungskräfte eine Chance dar, sich weniger im Tagesgeschäft zu verlieren und stattdessen wieder mehr Freiräume für Führung und die inhaltliche Weiterentwicklung des eigenen Verantwortungsbereichs zu schaffen.

Der Wunsch nach fachlicher, aber auch persönlicher Weiterentwicklung ist ein Trend, der sich aus meiner Sicht in den nächsten Jahren weiter fortsetzen wird. Selbstverwirklichung ist kein wirklich neues Ziel, doch die Möglichkeiten dafür werden immer realistischer. Da die Chancen auf berufliche Veränderung immer besser werden, wird auch die hohe Wechselbereitschaft von Arbeitnehmern anhalten. Damit gewinnt auch das Thema Mitarbeiterbindung an Bedeutung und muss aktiv in die HR-Strategie von Unternehmen integriert werden.

Flexibilität, Individualität und (Selbst-)Verantwortung sind drei Begriffe, die ich mit Arbeit und Karriere in Zukunft verbinde. Wie die Arbeitswelt werden auch Karrieren dynamischer und komplexer werden.

Doch am Ende ist und bleibt Karriere auch in Zukunft Ansichtssache. Karriere ist nicht Schema-F, sondern eine individuelle berufliche Entwicklung, die sich an den persönlichen Werten und Zielen eines Menschen ausrichtet.

Slaghuis-Coaching-Koeln

Dr. Bernd Slaghuis zählt zu den bekanntesten Karriere-Experten in Deutschland. Der systemische Coach und Ökonom steht für ein neues Karriere-Verständnis für die Arbeitswelt von morgen. In seinem Kölner Büro hat er sich auf Anliegen der Karriereplanung und beruflichen Neuorientierung spezialisiert. Er weiß, was Angestellten im Beruf heute wichtig ist. Unternehmen berät er, wie sie die richtigen Mitarbeiter gewinnen und erfolgreich binden. Er hält Vorträge zu Bewerbung und Recruiting auf Augenhöhe und ist Gastautor für verschiedene Karriere- und Management-Magazine. Sein Blog Perspektivwechsel zählt zu den meistgelesenen deutschsprachigen Karriere-Blogs. Interessierte können die ausführliche Dokumentation der Ergebnisse zur Studie „Karrieretrends 2016“ bei Dr. Bernd Slaghuis anfordern (mail@bernd-slaghuis.de).


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