Heute länger bleiben, morgen früher gehen und am nächsten Tag die Präsentation am Laptop im Wohnzimmer vorbereiten: All das ist möglich, wo die sogenannte Vertrauensarbeitszeit gilt. Doch während Manager argwöhnen, ihre Mitarbeiter könnten sich zuhause einen Lenz machen, klagen dieselben über unerfüllbare Ziele und unbezahlte Überstunden. Früher gehen? Keine Chance. Dabei könnten sowohl Manager als auch Mitarbeiter von dem Arbeitszeitmodell profitieren.

Bezahlter Burnout? Oder Freifahrtschein zum Faulenzen? Die Vertrauensarbeitszeit gelingt nur mit – nun ja, Vertrauen. Wie wird das Modell für Manager und Mitarbeiter zum Erfolg?
Wenn es darum geht, was Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber erwarten, fällt immer wieder ein Begriff: die Flexibilität. Mittlerweile haben das die meisten Unternehmen verstanden und schmücken sich mit Arbeitszeitmodellen, die es den Angestellten erleichtern sollen, Beruf und Privatleben zu vereinbaren. Zu diesen Modellen gehört die Vertrauensarbeitszeit. „Dieses Modell gründet auf ein wechselseitiges Vertrauen, bei dem der Mitarbeiter die Lage und Verteilung seiner Arbeitszeit eigenverantwortlich bestimmt“, sagt Sebastian Trabhardt, Rechtsanwalt aus Hamburg.

Rechtsanwalt Sebastian Trabhardt kennt die Gefahren der Vertrauensarbeitszeit.
Das heißt: Die Führungskräfte geben ihren Mitarbeitern nicht vor, wie sie ihre Arbeitszeit einteilen sollen. Darüber hinaus können sie sich auch aussuchen, wo sie arbeiten möchten. Zum Beispiel im Büro, unterwegs oder zuhause. Anders als zum Beispiel bei der Gleitzeit gibt es bei der Vertrauensarbeitszeit auch keine Zeitkonten, die kontrollieren, ob sich die Mitarbeiter an die im Vertrag festgelegte Arbeitszeit halten. „Im Vordergrund stehen die Aufgabenerfüllung oder das Erreichen von vereinbarten Zielen“, sagt Trabhardt.
Die komplette Flexibilität birgt auch Risiken
Eigentlich eine Wohltat für alle Beteiligten, könnte man meinen. Keine Führungskraft der Welt hat etwas von einem Mitarbeiter, der im Büro offensichtlich gelangweilt seine Zeit absitzt, obwohl alle Aufgaben bereits erledigt sind. Ausgeglichene Menschen, die sich wieder motivierter an die Arbeit machen, helfen ihren Vorgesetzten hingegen umso mehr: Eine Untersuchung des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel zeigt, dass Firmen mit Vertrauensarbeitszeit kreativer sind und mehr Innovationen hervorbringen.
Ein Blick auf Arbeitgeberbewertungsportale wie Kununu zeigt allerdings, dass längst nicht alle Mitarbeiter glücklich mit dem vermeintlich arbeitnehmerfreundlichen Modell sind. Von einer „Vertrauensarbeitszeit ohne Vertrauen“ ist da bei manchen Unternehmen die Rede, von unbezahlten Überstunden statt einem Plus an Freiheit klagen andere.
Das kann verschiedene Gründe haben. Mal vereinbaren Manager mit ihren Mitarbeitern nicht eindeutig, was sie bis zu welchem Zeitpunkt erreichen sollen, mal stecken sie kaum erreichbare Ziele, die zu Überstunden führen. Umgekehrt birgt das Modell auch die Gefahr, dass die Mitarbeiter das ihnen entgegengebrachte Vertrauen missbrauchen und im Home Office die Füße hochlegen statt am neuen Konzept zu arbeiten.
Auch bei der Vertrauensarbeitszeit gelten bestimmte Regeln
Dabei geben auch bei der Vertrauensarbeitszeit die Gesetze einen gewissen Rahmen vor. So können Führungskräfte sehr wohl darauf bestehen, dass ihre Teammitglieder die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit einhalten. Flexibel sind nur die Tageszeit und der Ort, an denen man für den Arbeitgeber tätig ist. Umgekehrt müssen die Arbeitgeber wie bei anderen Arbeitszeitmodellen auch die Überstunden ihrer Mitarbeiter erfassen. „Das kann sich in der Praxis als schwierig erweisen“, sagt Anwalt Trabhardt. Denn Führungskräfte dürfen es ihren Mitarbeitern überlassen, die Überstunden zu dokumentieren. Zweifelt ein Vorgesetzter an, dass sein Mitarbeiter wirklich so viel zusätzlich gearbeitet hat, muss letzterer beweisen, dass die Überstunden erforderlich waren oder vom Arbeitgeber gebilligt wurden. Hier droht Streit und Ärger, der Führungskräften und Mitarbeitern die Freude am Vertrauen vermiesen kann.
Doch es gibt eine Lösung: miteinander reden. Eine Fallstudie der arbeitnehmernahen Hans-Böckler-Stiftung legt nahe, dass Vertrauensarbeitszeit zu einer Win-Win-Situation für Führungskräfte und Mitarbeiter führen kann – vor allem dann, wenn beide Seiten sich regelmäßig austauschen. Dabei könne es helfen, vor der Einführung eine Testphase zu starten und das Arbeitszeitmodell später regelmäßig gemeinsam zu evaluieren. Dann kann die Vertrauensarbeitszeit tatsächlich zur Wohltat werden.