Er trägt eine Ray Ban und Chucks. Die Rede ist nicht von Ihrem jüngeren Bruder – sondern dem neuen Chef. Wer sich heute mit seinem CEO zum Lunch trifft, sitzt nicht mehr zwangsläufig einem graumelierten Herren im Nadelstreifenanzug gegenüber. Die Arbeitswelt steht vor einem Paradigmenwechsel. Neue flexiblere Arbeitsmodelle und veränderte Werte der Arbeitnehmer machen ein Umdenken notwendig – und das vor allem in den Chefetagen. Unternehmen setzen zunehmend auf flache Hierarchien, Teamwork und innovative Denkansätze. Dazu wird ein moderner Chef benötigt, der sein Team im hochkomplexen digitalen Zeitalter führen kann. Was zeichnet die Führungskraft von heute aus? Welche Eigenschaften besitzt der moderne Chef? Wir haben mit jungen CEOs gesprochen.
So führt ein moderner Chef
Der moderne Chef muss seinen Führungsstil an die veränderten Anforderungen anpassen, die seine Mitarbeiter an ihn stellen. Schon seit einigen Jahren zeigt sich, dass Arbeitnehmer neue berufliche Wertvorstellungen haben – sie wünschen sich nicht nur Anerkennung für ihre Arbeit, sondern auch die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, weiterzubilden, frei zu entfalten.
Eine gute Work-Life-Balance. Ein Arbeitsumfeld, in dem sie sich wohlfühlen können. „Junge Arbeitnehmer hinterfragen viel mehr als die Generationen vor ihnen – sie suchen nach einem Sinn in ihrer Arbeit“, weiß Julian von Blücher, CEO der Personalberatung Talent Tree GmbH, die sich auf die Suche nach neuen Talenten für Technik-Start-ups spezialisiert hat.
„Hinzu kommt die Individualisierung durch das Internet. Durch Facebook beispielsweise wird die Gesellschaft transparenter, man begegnet sich dort auf Augenhöhe. Facebook kennt keine Hierarchien.“ Wenn man hier mit seinem Chef befreundet ist, kann das auch die Perspektive auf das berufliche Verhältnis beeinflussen.
Ein moderner Chef muss seinen Führungsstil an technische und gesellschaftliche Veränderungen anpassen. Der ideale Vorgesetzte von heute behandelt sein Team respektvoll, er besitzt Entscheidungskompetenz und bietet seinen Mitarbeitern geordnete Strukturen, die dennoch so flexibel sind, dass jeder seine eigenen Impulse einbringen kann. Eine Gratwanderung.
Werte & Mitarbeitermotivation
Der Arbeitnehmer von heute will einen Sinn in seiner Arbeit sehen. Die Führungskraft von heute baut daher eine wertebasierte Unternehmenskultur auf und macht diese Werte zum Handlungsrahmen aller Unternehmensaktivitäten. Es sind keine stumpfen Marketing-Plattitüden, sondern Richtlinien, die in jedem Team gelebt werden.
„Dass unsere Mitarbeiter sich wohlfühlen, steht bei mir an erster Stelle“, erklärt Dannie Hansen, der sich mit innovativen Online Business-Ideen einen Namen gemacht hat. Der 25-jährige CEO leitet drei eigene Unternehmen.
„Ich habe mich beispielsweise dafür entschieden, 2015 kein Gehalt zu beziehen, um unsere bevorstehenden Investitionen zu finanzieren. Damit wollte ich vermeiden, dass es auf Mitarbeiterseite zu Einschränkungen kommt – z.B. beim Budget, das mein Team für Projekte erhält, oder bei der Auszahlung von Boni.“
Eine gute Führungskraft muss zudem eine Vorbildfunktion einnehmen und Werte jeden Tag aufs Neue vermitteln. „Ich liebe mein Unternehmen und gebe jeden Tag 110%“, so Hansen, „Wie sonst sollte ich meine Mitarbeiter motivieren?“
Auch Julian von Blücher misst der Entwicklung gemeinsamer Wertvorstellungen im Unternehmen große Bedeutung zu. „Die sieben Kernwerte, die ich mit meinem Team erarbeitet habe, dienen uns als Kompass. Meiner Meinung nach arbeiten Unternehmen, in denen Werte tatsächlich gelebt werden, unterm Strich effektiver als solche, in denen nur Dienst nach Vorschrift geleistet wird. Zudem wachsen durch gemeinsame Werte auch heterogene Teams zusammen.“
Sozialkompetenz
Ein moderner Chef kennt sein Team. Er hat einen Sinn dafür, wann und ob es Probleme gibt – ob auf persönlicher Ebene oder aus Unternehmensperspektive. Und er verhält sich so, dass sein Team ihm vertraut. „Vor allem in schwierigen Situationen ist das Vertrauen in den Vorgesetzten wichtig“, sagt David Baumgartner, Gründer und CEO der Restaurant-Kette dean&david, die sich gesundem und frisch zubereitetem Essen verschrieben hat.
„Dafür ist eine hohe Kompetenz mit authentischem Auftreten gefragt. Eine der wichtigsten Erfahrungen, dich in den letzten 10 Jahre bei dean&david gemacht habe ist Folgende: die Qualität der Führungsriege ist entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens.“
Sowohl Dannie Hansen als auch David Baumgartner setzen auf flache Hierarchien im Unternehmen.
„Bei uns in Dänemark sind flache Hierarchien die Regel. Außer der Königsfamilie wird z.B. jeder geduzt – das spiegelt sich auch in Unternehmen wider“, erklärt Hansen. Auch David Baumgartner wurde schon mit 26 Jahren zum Chef und hat daher ein sehr lockeres und unkompliziertes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern: „Wir begegnen uns auf Augenhöhe.“
Besonders die Führung von Mitarbeitern ist ein Drahtseilakt. „Wichtig ist eine offene und ehrliche Kommunikation. Für Ideen und konkrete Vorschläge meiner Mitarbeiter bin ich sehr dankbar, doch es ist klar, dass die finale Entscheidung bei mit liegt.
Zudem kommt mir die Rolle als Mediator und Ansprechpartner zu – sowohl für mein Team als auch bei Kunden-Kandidaten-Verhandlungen. Ich habe ein offenes Ohr für ihre Probleme und schlichte auch, wenn es nötig ist“, sagt Julian von Blücher.
Teamwork
Durch gesellschaftliche und technologische Veränderungen wird auch der Arbeitsmarkt immer komplexer. Mit einer Ein-Mann-Show können Sie als Chef heute nicht mehr viel ausrichten. Die Fähigkeit, neue Perspektiven einzunehmen – und andere Sichtweisen zuzulassen – , markiert einen wichtigen Bestandteil der Führungskultur im digitalen Zeitalter. Aus diesem Grund ist der moderne Chef ein großer Befürworter von Teamarbeit.
Er fördert seine Mitarbeiter und weiß, dass im Team oft die besten und kreativsten Ideen zustande kommen. Zudem hat ein moderner Chef kein Problem damit, sich selbst an der Ideenfindung im Team zu beteiligen. Denn während Chefs in der Vergangenheit die Rolle eines Kapitäns eingenommen haben, sehen sich viele Führungskräfte heute eher als Steuermann, der sein metaphorisches Schiff sicher durch Untiefen und Stromschnellen lotst – dabei jedoch direkt mit der Crew zusammenarbeitet. „Ich würde meine Mitarbeiter nie bitten, etwas zu tun, nur weil ich selbst keine Lust habe“, so Hansen.
Entscheidungskompetenz
Doch auch ein moderner Chef muss sich seiner Führungsverantwortung stellen. Denn den Kumpel, mit dem man nach Feierabend am Kickertisch spielt, können Mitarbeiter auf Dauer nicht als Vorgesetzten erstnehmen. „Wenn es darum geht finale Entscheidungen zu treffen, werde ich zum ‚Chef'“, sagt auch David Baumgartner von dean&david. „Ich habe den Eindruck, dass meine Mitarbeiter das auch erwarten, unabhängig davon, wie locker es sonst zugeht.“