Zugegeben, nicht jeden treibt der Gedanke an Kalkulationstabellen, Krisenmanagement und Vorstandssitzungen an. Viele Kandidaten wissen bei dieser Frage nicht, ob sie ihre Qualifikationen noch weiter herausstellen oder sich in Ausführungen über ihre Leidenschaft für das Segeln ergehen sollen. Die Frage lässt viel Spielraum für Interpretation – und Missverständnisse. Da sie jedoch bereits bei vielen Headhuntern und Unternehmens-Recruitern zum Standardrepertoire der Bewerbungsfragen gehört, ist es eine gute Idee, sich darauf vorzubereiten. Wir haben unser umfangreiches Headhunter-Netzwerk zu Rate gezogen und mit Headhunter Tom Stern von Stern Executive Search in Kalifornien gesprochen. Was will er als erfolgreicher Recruiter auf diese Frage hören? In Teil zwei unserer Serie haben wir Ratschläge von weiteren Headhuntern für Sie gesammelt. Doch jetzt machen Sie sich bereit und lesen Sie genau. Denn das will ein Headhunter auf die Frage „Was treibt Sie an?“ hören.
„Aus sprachwissenschaftlicher Perspektive bedeutet das Wort ‚Interview‘ nichts anderes als ‚hineinschauen‘.“ Doch die meisten Kandidaten, die sich auf Führungspositionen bewerben, bleiben oberflächlich – sie wollen sich präsentieren, aber nichts enthüllen. Viele schaffen es auch und können diese Trennlinie bewahren. Und viele Recruiter dagegen schaffen es nicht, zwischen Selbstpräsentation und echter Offenbarung zu unterscheiden. Oft erkennen diejenigen, die das Bewerbungsgespräch führen, noch nicht einmal den Unterschied.
Dinge wie „Nennen Sie Ihre größte Schwäche als Führungskraft“ sind oft genutzte (und ziemlich abgenutzte) Fangfragen, mit denen Personalmanager versuchen, Kandidaten aus der Reserve zu locken. Diese „Fallen“ kann man leicht umgehen. „Ich arbeite zu viel“ oder „Ich bin nie zufrieden, auch wenn wir durch meine Maßnahmen viel mehr Gewinn machen“ sind Antworten, die Personalverantwortliche häufig zu hören bekommen.
Ich würde auf eine solche Frage vermutlich folgendermaßen kontern: „Meine größte Schwäche? Fragen zu beantworten, die dazu dienen, mich aus der Kandidatenauswahl auszusortieren oder die dazu verwendet werden können, mich als Arbeitnehmer später einmal bloßzustellen.“ Natürlich ist meine Tendenz zu solchen Spitzfindigkeiten gleichzeitig der Grund, warum ich seit 25 Jahren mein eigener Chef bin.
Mittlerweile hat sich aber eine raffiniertere Frage als „Was ist Ihre größte Schwäche?“ entwickelt, die viele Kandidaten vor Herausforderungen stellt.
“Was treibt Sie an?“
Kandidaten zögern jetzt vielleicht – geht es hier noch um Ihre professionellen Ambitionen? Tatsächlich lenkt die Fragestellung den Kandidaten in eine Richtung, in der er ein wenig mehr von sich selbst offenbaren muss. Sie treibt ein Vorstellungsgespräch direkt in die Richtung, auf die es von vornherein zusteuern sollte.
Das sind gute Nachrichten. Die nächste Nachricht ist, dass diese Frage für Kandidaten zwar Herausforderungen birgt, gleichzeitig dem Fragensteller jedoch auch mehr Interpretationsvermögen abverlangt. Demographische Verallgemeinerungen funktionieren hier nicht. Der persönliche Antrieb ist eine derartig individuelle Erfahrung, dass man nicht voraussagen kann, was jemand auf diese Frage antwortet.
Ich habe einmal einen Kandidaten im Vorstellungsgespräch befragt, der das Oboe-Spielen als seinen Antrieb angab.
„Das ist interessant“, habe ich gesagt und war dabei völlig ehrlich. „Wie zeigt sich Ihre Leidenschaft für das Oboe-Spielen?“
„Ich bin nie zufrieden“, antwortete der Kandidat. „Wenn ich beispielsweise die Sonate in G-Moll von Bach spiele, muss ich die sechs Anfangstöne ganz genau treffen – wenn nicht, fange ich nochmal von vorne an. Mit Händels Oboenkonzert ist es noch schlimmer, weil ich das gemeinsam mit anderen spiele. Ich kann es nicht ausstehen mit Leuten zu arbeiten, die nicht 110 Prozent bei allem geben, was sie tun.“
Von dieser Antwort war ich ein bisschen enttäuscht. Im Grunde gab mir dieser Kandidat nur die Standard-Antwort „Ich arbeite zu hart“ oder „Ich kann Inkompetenz nicht leiden“ – er übertrug eine konventionelle Antwort nur in einen musikalischen Kontext statt in einen Unternehmenskontext. Entweder erkannte er die Wichtigkeit meiner Frage nicht, oder er versuchte, seine Antwort so zu gestalten, dass sie wenig Interpretationsspielraum ließ.
Eine richtige Antwort gibt es alledings nicht. Viel eher geht es darum, wie ein Kandidat seine Antwort gibt. Jemand kann erklären, sein Antrieb läge in seiner Gesundheit. „Es geht mir darum, mich gesund zu ernähren und in Form zu bleiben.“ Das kann einerseits bedeuten, dass man eine sehr gewissenhafte Person vor sich hat, die selten bei der Arbeit fehlen wird und die sicherlich einen verantwortungsvollen Mitarbeiter hergibt. Es könnte jedoch auch jemand sein, der besessen vom eigenen Körper ist, der sich ständig Sorgen um seine Figur macht und der nur in einen Ort ziehen würde, in dem es glutenfreie Kost gibt.“
Wirklich kreative Kandidaten würden das Wort „Antrieb“ nie zu gering schätzen. Im Gegenteil, es wäre genau das, worüber sie sprechen möchten und zwar nicht, weil sie Angst hätte, zu viel über sich zu verraten. „Was treibt Sie an?“ bedeutet „In welchem Bereich deines Lebens ist der Weg für dich wichtiger als das Ziel?“
Für einige Leute gibt es diesen Bereich in ihrem Leben nicht, das müssen dann sowohl der Kandidat als auch der Recruiter anerkennen. Wenn es das Oboe-Spielen ist, was den Kandidaten antreibt, so sollte dieser sich freuen, dass er dem Recruiter diesen Aspekt seines Lebens mitteilen kann. Und der Recruiter sollte es zu schätzen wissen, dass er diese Einsicht erhält. Es ist nichts Verwerfliches am Oboe-Spielen. Wenn es ein Flügelhorn wäre, vielleicht läge die Sache dann ganz anders.
Über Tom Stern:
Tom Stern ist der Gründer und Vorsitzende von Stern Executive Search (SES), das er mittlerweile seit über 25 Jahren führt. Er produzierte eine landesweit übertragene Radiosendung zum Thema Karrieretipps, entwickelte eine landesweit verkaufte Bildgeschichte namens „CEO DAD“, und schrieb ein darauf basierendes Buch mit dem Titel “CEO DAD- How To Avoid Getting Fired By Your Family.” Kreativität macht für Tom einen wichtigen Aspekt in der Aufrechterhaltung seines Erfolgs in der Recruiting-Branche aus. Für ihn ist die Business-Welt eine Geschichte, die sich ständig verändert – seine Aufgabe ist es, die Rollen von Organisationen und von Einzelpersonen richtig zu interpretieren, wenn er nach der Schnittstelle zwischen einem Unternehmen und einem Kandidaten sucht. Bevor er in die Recruiting-Branche wechselte, war Tom als President of Film and Television für Spotlite Enterprises tätig – einer Talentagentur, die Größen wie Jerry Seinfeld oder Jay Leno repräsentierte. SES bringt Kandidaten und Unternehmen in den USA, Europa und Indien zusammen. Unter den Klienten von SES waren bereits namhafte Firmen wie PWC, Bain oder Sony Entertainment. Tom setzt sich für wohltätige Zwecke ein und lebt derzeit in Tarzana, Kalifornien, wo er sich von den Strapazen als CEO Dad erholt. Tom glaubt an die Bedeutung einer guten Wort-Life-Balance. Wenn er also nicht arbeitet, verbringt er so viel Zeit wie möglich mit seiner Frau und ihren zwei „Junior Vizepräsidenten“.