Immer mehr Menschen klagen über zunehmenden Stress und Überforderung im Job, die Zahl der Burnout-Fälle nimmt stetig zu. Verschärft wird diese Entwicklung durch die exzessive Nutzung von Smartphones. Sie dehnt die berufliche digitale Erreichbarkeit verstärkt auf Freizeit und Urlaub aus. Die Folge: Emotionale, geistige und psychische Erschöpfung, kurz „digitaler Burnout“. Prof. Alexander Markowetz hat das Verhalten von 60.000 Handy-Nutzern analysiert und die Ergebnisse in seinem Buch „Digitaler Burnout“ zusammengefasst. Demnach befassen wir uns im Schnitt drei Stunden täglich mit unserem Smartphone, 55 Mal am Tag nehmen wir es zur Hand – ständig sind wir abgelenkt, unkonzentriert, gestört. Wie Sie den digitalen Burnout vermeiden und worauf Führungskräfte bei sich und den Mitarbeitern achten sollten, erläutert Norbert Hüge, Vorsitzender des DBVB Deutscher Bundesverband für Burnout-Prophylaxe und Prävention e.V., im Interview mit Experteer.
Herr Hüge, was macht die ständige Smartphone-Nutzung gefährlich, kann es dadurch zu einem Burnout kommen? Welche dramatischen Folgen sehen Sie in der permanenten digitalen Erreichbarkeit für die Gesundheit und unsere Gesellschaft?
Hüge: Unser Leben ist geprägt von immer schnellerem Informationsfluss. Durch die Nutzung von Smartphones werden wir in jeder Sekunde über Dinge informiert, die überall auf der Welt passieren. Für Menschen ist es oft schwierig, die erhaltenen Informationen zu selektieren und zu beurteilen, welche davon wichtig sind. Jede dieser E-Mails oder SMS stellt eine Unterbrechung dar, nach der wir uns wieder auf das konzentrieren müssen, womit wir uns gerade befasst haben. Das zehrt an unserer Energie.
Dem können wir nur entgegenwirken, indem das Handy beispielsweise während der Arbeitszeit in der Schublade verschwindet. Der Punkt ist nur folgender: Für unser Wohlbefinden ist es wichtig, einer Gruppe zugehörig zu sein. Man nennt dies eine soziale Ressource. Soziale Netzwerke wie Facebook oder WhatsApp-Gruppen unterstützen diesen Wunsch nach Zugehörigkeit. Man möchte involviert sein und darf nichts verpassen. Erhalte ich eine SMS von Freunden, fühle ich mich bestätigt und gemocht. Die Frage ist nur, ob Gemeinschaft oder Freundschaft nicht anders gelebt werden können.
Setzen wir uns nun mit ständiger Erreichbarkeit selbst unter Druck, ist eine anhaltende Anspannung die Folge – diese gefährdet die Gesundheit. Ein Abschalten oder richtige Ruhephasen sind nicht mehr möglich. In unserer Leistungsgesellschaft „trainieren“ wir uns den Müßiggang und den Wunsch, „einmal die Seele baumeln zu lassen“ ab, weil es „unproduktive“ Zeit ist. Müßiggang fördert aber beispielsweise unsere Fantasie und Kreativität.
Wir können uns Dingen widmen, die uns Freude bereiten: Sport treiben, Freunde treffen, Malen, ein Buch lesen. Die Liste ist schier unerschöpflich. Durch dauerhafte Einflüsse von außen hören wir nicht mehr auf die innere Stimme, die uns sagt, was uns wirklich Spaß macht. Dadurch kann auch die Sinnhaftigkeit unseres eigenen Tuns und Arbeitens in Frage gestellt sein.
Wie effektiv sind wir bei der Arbeit, wenn wir ständig chatten, posten, twittern sowie SMS, WhatsApp-Nachrichten und E-Mails checken?
Hüge: Unser Gehirn ist für Multitasking nicht ausgelegt. Versuchen wir uns auf verschiedene Dinge gleichzeitig zu konzentrieren, leidet die Effizienz. Komplexe Arbeitsaufgaben können besser gelöst werden, wenn man sich diesen ohne Unterbrechung widmen kann. Unser Gehirn benötigt ungefähr 18 Minuten, bis es sich auf komplexe Sachverhalte eingestellt hat und wir völlig konzentriert bei der Arbeit sind. Aus Untersuchungen wissen wir heute, dass der Deutsche im Schnitt alle 15 Minuten zu seinem Handy greift, um nachtzuschauen, ob es eine SMS gibt oder was es denn bei SPON oder Kicker an Neuigkeiten gibt.
Sie können nun erahnen, wie produktiv und effektiv wir arbeiten, wenn unser Gehirn wieder 18 Minuten benötigt, bis die nächste Störung nach 18 Minuten erfolgt. Genau: Drei Minuten effektive Produktivität im Schnitt! Nicht nur das Handy stört uns, sondern auch Funktionen, die am Bildschirm passieren, nämlich dann, wenn wir ein akustisches und visuelles Signal bekommen, dass wir eine neue Nachricht erhalten haben. Solch eine Funktion gilt es sofort abzustellen. Übrigens, rund 25 Prozent der deutschen Erwerbstätigen fühlen sich durch Störungen gestresst.
Wie erkenne ich, dass ich mich auf dem Weg zu einem digitalen Burnout befinde? Was sind die wichtigsten Warnsignale?
Hüge: Die Frage sollte nicht nur auf den digitalen Burnout abzielen, sondern auch hinterfragen, ab wann ich süchtig bin. Heutzutage fasten die Menschen schon mit handyfreien Zeiten, statt auf Süßigkeiten oder Alkohol zu verzichten. Aber zu Ihrer Frage: Fühle ich mich unkonzentriert oder habe ich das Gefühl, meine Arbeitsaufgaben nicht mehr effizient lösen zu können, habe ich sogar Schlafstörungen, gibt es körperliche Auswirkungen?
Dann macht es Sinn, darauf zu achten, welche Einflüsse von außen auf mich einströmen. Gibt es viele Unterbrechungen durch E-Mails oder greife ich häufig zum Smartphone, um nach eingegangen Nachrichten zu schauen?
Was können wir dagegen tun? Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
Hüge: Auf der einen Seite bedarf es einer Verhaltensänderung und auf der anderen Seite eines Schutzmechanismus durch das Unternehmen. Es gibt bereits Unternehmen, die den Versand oder das Lesen von E-Mails außerhalb bestimmter Zeiten nicht mehr zulassen. Die bringt mir unter Umständen aber nicht viel, wenn ich das Gefühl habe, ich muss nach 22 Uhr noch berufliche E-Mails lesen, weil ich sonst morgen nicht vorbereitet bin und uninformiert dastehe.
Wir sollten uns bewusst machen, dass jeder ein Recht auf Nichterreichbarkeit hat. Es gibt auch Unternehmen, die die Verantwortung an die Beschäftigten abgeben. Doch das ist meines Erachtens nicht ausreichend. Wer bestimmte Antreiber/Glaubenssätze/persönliche Stressverstärker in sich trägt, wird es schwer haben, eine berufliche E-Mail nach 22 Uhr oder am Wochenende nicht zu lesen. Hier müssen die Mitarbeiter vom Unternehmen und dem Vorgesetzten geschützt werden.
Was sollten Führungskräfte im Umgang mit den Mitarbeitern beachten?
Hüge: Für Führungskräfte ist es in erster Linie wichtig, Warnsignale bei sich und bei Mitarbeitern zu erkennen. Wenn sie für das Thema sensibilisiert wurden, fällt dies leichter. Achten Führungskräfte auf sich selbst, sind sie Vorbild für ihre Mitarbeiter. Dann fällt die persönliche Ansprache leichter. Zudem sind Seminare zum eigenen Stressverhalten in Unternehmen sinnvoll, denn dadurch ist eine Sensibilisierung aller Beschäftigter möglich. Das alles unter dem Aspekt einer Unternehmenskultur, in der die Gesundheit der Beschäftigten von oben nach unten vorgelebt wird und einen hohen Stellenwert hat. Die Effizienz und Gesundheit der Mitarbeiter kann so bewahrt werden.
Wie können wir in einer Welt der dauernden Beschleunigung wieder lernen, eine Work-Life-Balance zu finden, ohne unseren Arbeitsplatz zu riskieren?
Hüge: Wichtig ist es, persönliche Stressoren sowie deren Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden zu kennen. Dann ist es möglich, Warnsignale frühzeitig wahrzunehmen und gegenzusteuern. Wie der Ausgleich gelingt, hängt davon ab, welche Art von Tätigkeit ausgeübt wird und was den persönlichen Interessen entspricht. Das heißt, bei einer sitzenden und kopflastigen Bürotätigkeit ist es sinnvoll, sich in der Freizeit zu bewegen. Eine gesunde Balance von Anspannung und Entspannung fördert nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Leistungsfähigkeit.
Herr Hüge, vielen Dank für das Gespräch!
Fazit: Weniger ist mehr
Führungskräfte sollten darauf achten, dass ihre Mitarbeiter nach Feierabend, an Wochenenden und im Urlaub ausreichend „digitale Ruheinseln“ einhalten, um sich zu erholen und neue Kraft zu tanken. Das gilt auch für die Führungskräfte selbst. Die Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten sollte sich auf wichtige, zeitkritische Projekte, auf Ausnahmen beschränken und nicht zum Dauerzustand werden. Unterm Strich sind gesunde Mitarbeiter wesentlich produktiver als permanent Überforderte. Fallen Mitarbeiter aufgrund eines Burn-out-Syndroms für längere Zeit aus, wird es für die Unternehmen teuer.
Über den Autor:
Markus Hofelich ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und lebt mit seiner Familie im Süden von München. Seine journalistische Erfahrung sammelte er als Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins „Unternehmeredition“ der GoingPublic Media AG, Redaktionsleiter beim DIV Deutscher Industrieverlag sowie als stellv. Chefredakteur von Cash. Markus Hofelich ist Diplom-Kulturwirt und hat an der Universität Passau und an der Pariser Sorbonne studiert. Nach einer Fortbildung zum Online Marketing und Social Media Manager an der ptm Akademie hat er dieses Jahr die Website www.SinndesLebens24.de gestartet, ein Online-Magazin für Philosophie, Glück und Motivation und ist auf der Suche nach einer neuen Herausforderung.